Im März schrieben mehr als 31 europäische bürgergetragene Gemeinschaftsnetze (Community Networks, CNs) einen offenen Brief an die politischen Entscheidungsträger der EU. Sie unterstrichen dabei die Notwendigkeit einer Anpassung des europäischen Rechtsrahmens, um solche Bürgerinitiativen zu unterstützen und so alternative, demokratische und nachhaltige Wege zur Erfüllung der Ziele der Breitbandpolitik aufzuzeigen. Aber anstatt die Tür zu einer dringend benötigten Diversifikation des Telekommunikationsökosystems zu öffnen, streben die europäischen Regierungen weiter an, die dominierenden Positionen der etablierten Akteure zu stärken. Da die Vereinbarung über die Zukunft der europäischen Telekom-Regulierung näher rückt, muss das EU-Parlament dem Druck standhalten und sein Engagement für das öffentliche Interesse bekräftigen.
Das Europäische Parlament hat gerade über den Entwurf des Europäischen Kodex für elektronische Kommunikation abgestimmt, der in den nächsten Jahrzehnten die Grundlage für die Regulierung der Telekommunikation in der EU bilden wird. Obwohl der Text des Parlaments bei weitem nicht perfekt ist, lässt er genügend Platz für die nationalen Regulierungsbehörden (NRB), um monopolistische Situationen zu regeln und gemeinschaftliche Netze (CNs) und andere genossenschaftliche oder non-profit Betreiber zu berücksichtigen (Gegenstand der Änderungsanträge in den Artikeln 74 und 77). Zum Beispiel indem diese beispielsweise Zugang zu Glasfasernetzwerken erhalten oder der gemeinsame und unlizenzierte Zugang zum elektromagnetischen Spektrum gefördert wird. Das kann für eine raschere Erstellung erschwinglicher und flexibler Netzwerke von wesentlicher Bedeutung sein.
Die für den Text zuständigen Abgeordneten des EU-Parlaments werden nun mit dem Europäischen Rat verhandeln, der die europäischen Regierungen vertritt. Insbesondere die Berichterstatterin Frau Pilar del Castillo ist für ihre Nähe zum spanischen Betreiber Telefonica bekannt. Aber diese so genannten “Trilog-Verhandlungen” haben einen offensichtlichen Mangel an Transparenz und es ist schwer ihnen zu folgen. Der Europäische Rat hat eine sehr drastische Version des Codeentwurfs vorgelegt bekommen. Dass ist sehr beunruhigend, denn sie zielt darauf ab, die Pro-Diversity-Politik zu überarbeiten und die Oligopolisierung von Telekommunikationsinfrastrukturen zu fördern.
- Bezüglich Regulierung will der Rat eine 7-jährige Regulierungsfreiheit für neu gebaute Netzwerke wie z.B. Glasfasernetze vorsehen. Die nationalen Regulierungsbehörden hätten dann keine Möglichkeit, den etablierten Betreibern wettbewerbswidriges Verhalten vorzuwerfen. Große Betreiber können dann ihre oligopolistischen Positionen zu Lasten von CNs und anderen kleinen genossenschaftlichen oder non-profit Betreibern ausdehnen. Sollte dieser Ratsvorschlag angenommen werden, werden wir Zeugen des Verschwindens kleiner alternativer Netzbetreiber sein.
- Im Bereich des Spektrums beabsichtigt der Europäische Rat, die Kontrolle über diese wichtige Grundlage von den nationalen Regierungen zu übernehmen. Damit können schlecht gelebte Praktiken weitergeführt werden und die gemeinsam genutzt Ressource “Funk” wird ineffizient genutzt. Die angeblichen Anstrengungen der Europäischen Kommission zur Entwicklung und Ausweitung des gemeinsamen und nicht genutzten Zugangsspektrums werden damit untergraben. Das verhindert die nachhaltige Existenz kleinerer genossenschaftlicher oder non-profit Betreiber und verringert die Vielfalt im Telekommunikationssektor.
- Auf institutioneller Seite will der Rat die Mitgliedstaaten entscheiden lassen, welche Behörde die Marktaufsicht und die Rechte der Nutzer sicherstellen soll. Durch die Möglichkeit der Umgehung von NRAs wird die unabhängige nationale Regulierung sowie jede Form der Koordination auf europäischer Ebene untergraben.
Wir fordern die Abgeordneten des Europäischen Parlaments auf, öffentliche Interessen zu verteidigen und Pro-Competition- und Pro-Diversity-Politik fördern. Die Regulierungen in diesem Politikbereich waren zu lange anfällig für private Interessen. Der Widerstand richtet sich gegen diejenigen europäischen Regierungen, die die Macht der größten Industrieakteure über Netzwerkinfrastrukturen weiter ausbauen wollen. Unsere gewählten Vertreter sollen sicherstellen, dass alternative Betreiber und lokale Gemeinschaften über ausreichende Mittel verfügen, um sich zu entwickeln, zu innovieren und zukunftsweisende Modelle und Dienstleistungen zum Vorteil aller anzubieten.